Berner Familientagung 2016

Bei schönem Frühlingswetter trafen sich zur diesjährigen Berner Familientagung über 70 Personen auf dem Gurten bei Bern.

Das medizinische Programm wurde erneut durch das Team des Inselspitals Bern bestritten (Prof. Dr. J. Kremer Howinga, Dr. R. Kobelt, Dr. E. Stutz-Grunder und B. Töndury).

Den Anfang machte Dr. Rainer Kobelt über ‚Neues aus Klinik und Forschung‘. Er führte einen interessanten Exkurs über Zelldefekte und Genmutationen bei Hämophilie. Es sei festgestellt worden, dass die sogenannten Spontanmutationen in 40 % der Fälle beim Betroffen selber, und in 60 % der Fälle bei dessen Mutter auftreten. Nicht alle Zellen beim Betroffenen haben dieselben Defekte. Wenn man die Familien untersuche, finde man in mindestens 60 % der Fälle schon bei früheren Generationen geschädigte Gene. Auch sei bei einem Gentest, der keine Abweichungen zeige, nicht erwiesen, dass die Krankheit nicht doch übertragen werden könne.

Produkte mit verlängerter Halbwertszeit (HWZ)

Die sog. longacting-Produkte stehen kurz vor Markteinführung. Dr. Kobelt führte aus, dass es diverse Methoden gebe, wo etwas dem Protein ‚angehängt‘ werde, z.B. Albumin. Die neuen Präparate bieten den Vorteil grösserer Intervalle beim Injizieren, gleicher Intervalle mit höherem Spiegel oder eine Mischung davon. Die Nachteile: Wenn man weniger häufig spritzt, ist der Faktoranstieg geringer. Dies bedinge, dass man sich genau an die Intervalle halte.

Bezüglich Kosten der neuen Produkte gibt es noch keine Informationen. Offen ist auch, welche Auswirkungen die Zusatzstoffe langfristig haben werden. Auf die Frage, wer die neuen Produkte benötige, gibt es keine Regel. Jeder Patient reagiere individuell darauf. Sinnvoll sein eine Umstellung bei einer HWZ von unter 12 Stunden. Ziel sei es, eine Kosten-Nutzen-Abwägung je Patient zu machen. Die Frage steht im Raum, ob das Ziel, blutungsfrei zu sein, sinnvoll sei.

Neue Therapieansätze

Kurz ging der Referent auch auf neue Varianten in der Behandlung ein, an denen geforscht werde, so z.B. ein imitierender Antikörper, eine Antithrombin-Unterdrückung, die Gentherapie oder der Transfer von Zellen, eigene als auch fremde.

Diskussionsrunde

Mit konkreten Fragestellungen brachte Dr. Eveline Stutz-Grunder die Teilnehmer zu angeregtem Austausch. Themen waren z.B. die Behandlung von Verletzungen im Mundbereich, Behandlung einer Gelenksblutung, verbotene Medikamente oder Reisen. Jeder Teilnehmer konnte so seinen Wissensstand wieder à jour bringen.

Frau Prof. Dr. Johann Kremer Hovinga brachte dann das Thema ‚Vorbereitung auf Eingriffe und Operationen‘ zur Sprache. Wichtig sein in jedem Fall das frühzeitige Informieren des Hämophilie-Zentrums durch den Patienten. Meist sei eine detaillierte Absprache zwischen dem Hämophilie-Behandler und dem Operateur wichtig, damit ein Behandlungsplan erstellt und der Einsatz von verbotenen Medikamenten möglichst ausgeschlossen werden könne. Vor allem im Zusammenhang mit Privatspitälern brauche eine seriöse Planung genügend Zeit.

Zertifizierung der Hämophilie-Zentren

Dr. Kremer führte des Weitern aus, dass das Erwachsenen- und das Kinder-Hämophilie-Zentrum im Inselspital Bern seit Mai 2015 gemeinsam als EHCCC zertifiziert ist. Ein EHCCC hat einen etwas höhern Level wie ein EHTC. Auf der Webseite der EUHANET können alle in Europa zertifizierten Zentren abgerufen werden. Sie betont die gute Zusammenarbeit zwischen dem Erwachsenen- und dem Kinderzentrum in Bern. Man sei im ständigen Dialog und treffe sich einmal pro Monat.

Smart medication

Zum Abschluss des theoretischen Teils der Tagung präsentierten Barbara Töndury, Pflegefachfrau Hämatologie, und Enea Atroce, junger Hämophiler, die neue App ‚Smart medication‘. Enea ist schon seit der Pilotphase des Projekts dabei und präsentierte den Anwesenden die diversen Möglichkeiten, die das Programm via Smartphone anbietet. Die App ist nun offiziell seit September 2015 in Betrieb und ersetzt das altbekannte Substitutionsbüchlein. Der Anwender kann all seine Verbrauchsdaten eingeben und die Daten dann verschlüsselt dem Zentrum übermitteln. Die Datensicherheit ist gegeben. Die französische Version sollte demnächst angeboten werden können.

Stechkurs und GV

Nach dem feinen Mittagessen, das sich jedoch zeitlich etwas in die Länge zog, teilten sich die Teilnehmer in zwei Gruppen. Die Familien übten im Obergeschoss ihre Fähigkeiten im Venenpunktieren. Die Gelegenheit, sich Tipps zu holen wurde wiederum rege benutzt. Unter der Leitung von Präsident Lino Hostettler fand im EG die 51. GV der SHG statt.

Vielen Dank an das Team des Inselspitals für den lehrreichen und unterhaltsamen Tag auf dem Hausberg von Bern.